Physiotherapie in Schwangerschaft und Wochenbett

Physiotherapie in Schwangerschaft und Wochenbett

Die Physiotherapeutin Lisa Knafl MA hat mich in meiner Schwangerschaft und im Wochenbett liebevoll und mit viel Fachwissen begleitet und sehr unterstützt. In diesem Interview beantwortet sie meine Fragen zu den Möglichkeiten der Physiotherapie in diesen besonderen Lebensphasen.

Eine Schwangerschaft bringt viele körperliche Veränderungen mit sich, ich denke da z.B. an die veränderte Hormonlage und den wachsenden Bauch. Bei welchen spezifischen Beschwerden kann die Physiotherapie während der Schwangerschaft hilfreich sein?

In der Tat bringt eine Schwangerschaft sehr viele Veränderungen mit sich. Einerseits gibt es die Veränderung der Statik und der Biomechanik des Körpers, da sich durch den wachsenden Bauch die Bewegungsmuster verändern. Das Gewicht des Bauches zieht nach vorne, die Lendenwirbelsäule fällt in ein „Hohlkreuz“, der Beckenboden bekommt mehr Druck von oben und dementsprechend verändern sich auch die Gegebenheiten der umliegenden Gelenke. Dazu spielt natürlich die veränderte hormonelle Lage auch eine große Rolle – das Bindegewebe und vor allem auch Strukturen wie die Bänder werden elastischer, um den Körper auf die Geburt vorzubereiten. Klassische Probleme, die dabei auftreten können, sind Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, dem Iliosakralgelenk, den Hüften, der Schambeinfuge (Symphyse). Ebenso kann ein Beckenboden, der schon vor der Schwangerschaft nicht gut in seiner Mitte war (sprich zu viel oder zu wenig Spannung hatte) durch die Veränderungen zum Beispiel zu einer Inkontinenz führen.  

 

Gibt es allgemeine Empfehlungen in punkto Bewegung, Heben etc, die du schwangeren Frauen mitgibst? Gibt es da Unterschiede, je nachdem wie weit die Schwangerschaft schon fortgeschritten ist?

Grundsätzlich gilt: Sport, der schon vor der Schwangerschaft regelmäßig gemacht wurde, kann man auch weiterhin machen (mit wenigen Ausnahmen), weil der Körper diese Belastungen ja gewohnt ist. Es gibt mittlerweile einige Studien, wo die Auswirkungen von Bewegung/Sport in der Schwangerschaft untersucht wurden und die Outcomes waren durchwegs positiv. Auch für die Zeit nach der Geburt. Es gibt ja mittlerweile viele Angebote mit Schwangerschaftsyoga und diversen Kursen geeignet für Schwangere. Natürlich sollte man sich das immer individuell anschauen. Wenn Probleme oder Risiken in der Schwangerschaft bestehen, gilt es auf alle Fälle Rücksprache mit der/dem betreuenden Gynäkologen/Gynäkologin zu halten und wir Physios können natürlich auch mit Rat und Tat zur Seite stehen. 

Wie so oft gilt es gut, auf seinen Körper zu hören – der sagt einem nämlich meistens ganz genau, was guttut und was nicht.


Welche Rolle kann die Physiotherapie bei der Prävention von Komplikationen während der Schwangerschaft spielen?

Ich arbeite hauptsächlich mit Viszeraler Therapie. Das ist der Bezug der Organe zueinander und zum Bewegungsapparat. Aus dieser Sicht ist es sinnvoll, schon vor einer Schwangerschaft eine gute Ausgangslage für den Körper zu schaffen. Damit ist gemeint, dass alle Organe richtig stehen, keine Verklebungen, Verwachsungen oder Narben von vielleicht vorangegangenen Bauchoperationen vorhanden sind. Idealerweise bekommt auch der Beckenboden schon vor der Schwangerschaft Aufmerksamkeit. Die Frau sollte ihren Beckenboden kennenlernen und wissen, wie sie ihn gut wahrnehmen und ansteuern kann. 


Inwieweit kannst du als Physiotherapeutin bei der Geburtsvorbereitung unterstützen?

Geburtsvorbereitend versucht man physiotherapeutisch alles, um eine bestmögliche Ausgangslage für die Geburt zu schaffen. Grundlegend ist es sinnvoll, sich und seinen Körper gut spüren zu können, und damit verbunden auch seinen Beckenboden gut wahrzunehmen und ansteuern zu können (also adäquat an- und entspannen). Im Idealfall gibt es vor der Geburt eine Palpation des Beckenbodens, also eine Tastuntersuchung, welche von spezialisierten Physiotherapeutinnen durchgeführt werden kann. Bei dieser Tastuntersuchung kann der Zustand des Beckenbodens festgestellt und mit Feedback für die Patientin das richtige Ansteuerung der Beckenbodenmuskulatur erlernt werden.


Ansonsten besteht bei mir die Geburtsvorbereitung aus 3 Pfeilern: 

  • Eine Behandlung des Beckens (knöchern und muskulär) inklusive des Steißbeins, damit möglichst alle Voraussetzungen gegeben sind, dass das Kind sich gut ins Becken eindrehen kann.
  • Eine Behandlung des „Ausdruckswegs“. Dazu zählen das Kiefergelenk und der Mundboden (welcher sehr eng mit dem Beckenboden in Verbindung steht). D.h. ist der Mundboden entspannt, kann auch der Beckenboden gut entspannen.
  • Eine Behandlung der sogenannten „Hormonkette“. Das beinhaltet eine Behandlung aller Organe im Körper, die an der Hormonbildung, -umwandlung, und –weiterverteilung beteiligt sind. Bei der Geburt sind sehr, sehr viele Vorgänge hormonell gesteuert, und somit versucht man, auch auf dieser Ebene eine gute Ausgangslage bereitzustellen.

Weiterführend ist es natürlich auch sinnvoll, sich mit dem Geburtsprozess an sich auseinanderzusetzen, also den Geburtsphasen, mögliche Atemtechniken und den verschiedenen Geburtspositionen.


Wann empfiehlst du nach der Geburt eine physiotherapeutische Behandlung?

Physiotherapie kann ab dem ersten Tag nach der Geburt beginnen. Angepasst an die Situation der Frau kann eine adäquate Therapie stattfinden. Es geht vor allem viel um das Wissen, welche physiologischen und hormonellen Voraussetzungen nach der Geburt für den Körper herrschen, und wie man als Mama damit gut im Alltag umgehen kann, bzw. worauf man achten sollte.

Die Grundidee nach der Geburt ist, wieder gute Stabilität für den Rumpf zu bekommen, also dass der Beckenboden, die untere Rückenmuskulatur und die Bauchmuskulatur gut zusammenarbeiten. Außerdem ist es wichtig, Narben von einem Dammriss, Dammschnitt oder einem Kaiserschnitt gut nachzubehandeln, damit keine Probleme entstehen. 


Gibt es spezifische Symptome nach der Geburt, bei denen ich als Jungmama daran denken sollte, sie physiotherapeutisch abklären zu lassen?

Schmerzen im Beckenbereich, Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, Schmerzen beim Gehen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Harn- und oder Stuhlinkontinenz, Schmerzen oder Probleme beim Harnlassen oder Stuhl absetzen, Einschlafen oder Taubheit in den Armen


Hast du Empfehlungen für Frauen, die gerade entbunden haben? Sollen sie ihren Körper eher schonen oder doch aktiv bleiben?

Komplett inaktiv sein geht ja schon mal nicht, weil man ja ein kleines Menschlein zu versorgen hat. Alleine die Alltagsaktivitäten sind oft schon herausfordernd. Wenn möglich soll sich die frischgebackene Mama soviel Unterstützung wie möglich holen. Jemand der den Haushalt macht, gute nahrhafte Speisen kocht, damit sich die Mama wirklich nur auf ihr Baby konzentrieren kann. Der Körper leistet bei einer Geburt so viel, und natürlich sollte man sich vor allem in der ersten Zeit schonen. Das heißt aber nicht, dass man nur liegen soll. Und es ist natürlich auch ganz individuell, je nachdem ob es eine vaginale Geburt war (Stichwort Geburtsverletzungen wie Dammriss oder Dammschnitt) oder ein Kaiserschnitt. 


Welche Rolle spielt die Physiotherapie bei der Rückbildung nach der Schwangerschaft?

Eine große Rolle, würde ich ganz unvoreingenommen sagen. Wir spezialisierten Physiotherapeuten wissen genau, was für welche Ausgangssituation die passende Therapie ist. Eine Tastuntersuchung des Beckenbodens gibt Aufschluss über den Jetzt-Zustand und was es für den Bereich noch braucht (Aktivierung, Kräftigung, Ausdauer, Schnellkraft, Entspannung, …). Immer in Zusammenschau des ganzen Körpers, d.h. wie schaut der Rumpf insgesamt aus, gibt es eine Rektusdiastase, die Aufmerksamkeit bedarf, oder sonstige körperliche Symptome. 

In einer Phase, wo sich häufig alles nur um das Baby dreht, sehe ich mich als Begleiterin für die Frauen, damit auch ihre Bedürfnisse gesehen und gewahrt werden und ihnen in dieser herausfordernden Zeit so viel Unterstützung als möglich zur Verfügung gestellt werden kann. 


Gibt es bestimmte Übungen, die besonders hilfreich sind, um den Beckenboden im Wochenbett zu stärken?

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, den Beckenboden im Wochenbett zu unterstützen. Und auch das sollte für jede Frau aufgrund ihrer Vorgeschichte (wie war die Schwangerschaft, welcher Geburtsweg - vaginal oder Kaiserschnitt, Geburtsverletzungen etc.) individuell angepasst sein. Es kann nämlich auch sein (häufig nach Kaiserschnittgeburten), dass der Beckenboden zu viel Spannung hat und deswegen eine Kräftigung des Beckenbodens in dem Fall nicht sinnvoll wäre. Eine klassische Übung zum Wahrnehmen und Aktivieren des Beckenbodens: In einer für den Rumpf gut aufgerichteten Position in den Bauch bzw. bis ins Becken einatmen und beim Ausatmen den Beckenboden sanft nach innen ziehen und beim Einatmen wieder lösen.


Welche Maßnahmen empfiehlst du Frauen, um sich wieder an ihren Alltag anzupassen und körperlich fit zu werden?

Langsam wieder in den neuen Alltag einfinden. Spazieren gehen, die Übungen der Physiotherapie machen. Immer wieder spüren, wie es dem Körper dabei geht, was guttut und was nicht. Eine Frau, die vor der Schwangerschaft schon nicht sehr sportlich unterwegs war, muss jetzt nach der Geburt keine Spitzensportlerin werden. Wenn es Sportarten gibt, die eine Frau nach der Geburt wieder ausüben möchte, ist es sinnvoll, in Absprache mit der Therapeutin zu schauen, wie weit der Körper ist und was dabei Sinn macht.